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Aus: Regina Porter: Die Reisenden

(S. Fischer 2020) S. 9-11

 

Als der Junge vier war, fragte er seinen Vater, warum Menschen eigentlich Schlaf bräuchten. Sein Vater antwortete: „Damit Gott den ganzen verfickten Scheiß wieder richten kann, den die Menschen verfickt haben.“

Als der Junge zwölf war, fragte er seine Mutter, warum sein Vater fort sei. Die Mutter antwortete: „Damit er alles ficken kann, was nicht bei drei auf dem Baum ist.“

Als der Junge dreizehn war, wollte er wissen, warum sein Vater wieder da sei. Seine Mutter erklärte es ihm. „Mit einundvierzig habe ich nicht mehr den Nerv, mir noch einen anderen zum Ficken zu suchen.“

Als der Junge vierzehn war und die Schimpfwörter seinen Freunden über die Lippen sprudelten wie Wasser aus einem undichten Rohr, übte das Wort „Ficken“ keinerlei Reiz mehr auf ihn aus. Nicht. Den. Geringsten.

Mit achtzehn verließ der Junge (Jimmy Vincent junior) seinen Heimatort Huntington auf Long Island, um die University of Michigan zu besuchen. Jimmy galt allgemein als hervorragender Student und als attraktiv bis zum Gehtnichtmehr. Er hätte jede haben können, doch wie es oft so ist, schoss er sich auf eine ausgesprochen unscheinbare junge Frau namens Alice ein. Jimmy redete sich erfolgreich ein, dass er Alice liebte, und die beiden Studienanfänger gaben sich beschwipst ihren sexuellen Kunststückchen hin. Alice, entzückt vor lauter Glück, zog Jimmy voller Dankbarkeit fest an sich und rief: „Oh Gott. Oh, ich ... Ich? Fick mich, fick mich, fick mich!“

Nach der Michigan kehrte Jimmy an die Ostküste zurück. Er sicherte sich einen Job als Rechtsberater bei einer bekannten Anwaltskanzlei und begegnete einer hochgewachsenen Frau aus New England. Jane studierte Medizin, wäre aber auch als Laufstegmodel durchgegangen. Sie benutzte keine schmutzigen Wörter, und wo immer sie auftauchten, drehten sich alle nach ihr um. Diese Frau hätte Jimmy nicht nur heiraten, sondern auch lieben können, selbst im zarten Alter von zweiundzwanzig. Am Heiligabend, der, wie es der Zufall wollte, auch ihr erster gemeinsamer Jahrestag war, fuhr Jimmy mit Jane zu seinen Eltern.

Nach einem wunderbaren Essen, in dessen Zubereitung Jimmys Mutter den ganzen Tag gesteckt hatte (das Rezept stammte aus ihrem Lieblingskochbuch), kam Jimmys Vater ins Wohnzimmer und setzte sich zwischen Jimmy und Jane. Er trank von seinem Madeira und erging sich in Erinnerungen an seine Kindheit im ländlichen Maine. „Heiße Kartoffeln helfen bei Gerstenkörnern. Rohe Kartoffeln unter der Achsel schlagen jedes Deo. Mit einer Kartoffel im Schuh hast du vor jeder Erkältung Ruh. Das ist das Lexikon des Farmersjungen. Ich habe einen Kartoffelacker gegen den anderen eingetauscht. Long Island war früher voll mit Kartoffeln, falls ihr das noch nicht wusstet.“ Als Jane in der Küche verschwand, um nach Jimmys Mutter zu sehen, wandte sein Vater sich ihm zu und sagte: „Die fickst du also, Kleiner? Halt die bloß fest. Vergeig’s nicht, Jimmy-Boy. Da würd ich auch gern mal ran.“ Jimmy, immer allseits Jimmy junior genannt, beschloss umgehend, dass ihm der Name James lieber war. Als James die Zusage von der Columbia Law School bekam, ging er auf Abstand zu Jane.