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Aus: P.J. Tracy, Memento

(Wunderlich 2007)  S. 28-30.

 

Gino und Magozzi machten sich zügig an die Arbeit, rollten, formten und modellierten. Zumindest die Sonne war auf ihrer Seite: Sie stand jetzt hoch und hell am Himmel und machte den Schnee weicher, sodass man besser damit arbeiten konnte. Eine halbe Stunde später hatten sie einen durchaus passablen Grundschneemann zustande gebracht.

            „Das ist doch ein verdammt guter Anfang.“ Gino trat einen Schritt zurück, um das Werk zu begutachten. „Noch ein paar Kleinigkeiten, ein bisschen Schnickschnack, dann haben wir einen ordentlichen Wettbewerbsteilnehmer. Was meinst du?“

            „Sein Hintern ist zu dick.“

            Gino verdrehte die Augen. „Das ist ein Schneemann, die haben dicke Hintern.“

            „Vielleicht kann man das mit ein paar Armen ausgleichen.“

            „Tolle Idee. Hol mal ein paar Äste von dem Busch da drüben.“

            „Die Büsche im Park zu beschädigen ist verboten.“

            „Mir doch egal. Ich zeig mich nicht mit dem Teil hier, solange es keine Arme hat. Und spar dir deine dummen Bemerkungen zum Antidiskriminierungsgesetz.“

            Magozzi ging auf die zerzausten Büsche am Waldrand zu und blieb auf halbem Weg stehen, um sich den Skifahrer-Schneemann aus der Nähe anzuschauen. Er stand inzwischen in der prallen Sonne und sah links schon leicht glasig und ein bisschen matschig aus. Wenn sie Glück hatten, schmolz er noch vor der Preisverleihung, dann hatten sie einen Konkurrenten weniger.

            „Ist das Ihrer?“

            Magozzi schaute nach unten und sah einen kleinen, rothaarigen Jungen, der plötzlich neben ihm aufgetaucht war.

            „Nein.“

            Der Junge war höchstens acht oder neun, doch er umrundete den Schneemann mit dem kritischen Blick eines erfahrenen Preisrichters. „Der ist ziemlich gut. Viel besser als der, den der Fettsack da drüben baut.“ Er deutete auf Gino.

            „Das ist mein Partner, von dem du da redest.“

            Der Kleine musterte ihn verblüfft. „Sie sehen aber gar nicht schwul aus.“

            Die englische Sprache, dachte Magozzi. Immer in Bewegung. Heutzutage hatte praktisch jedes Wort mehrere Bedeutungen. Irgendwann würde sich wohl jemand ein paar neue ausdenken müssen. „Nicht die Sorte Partner. Wir sind Polizisten.“

            Damit hatte er das Kind beeindruckt. „Haben Sie schon mal wen erschossen?“

            „Nein“, schwindelte Magozzi.

            „Och.“ Der kleine Junge wandte sich wieder dem Skifahrer-Schneemann zu und schien Magozzi genauso schnell zu vergessen, wie er sich für ihn interessiert hatte. Leblose Objekte waren offensichtlich sehr viel interessanter als Polizisten, die noch nie jemanden erschossen hatten.

            Magozzi sah sich ein paar Mal um, um sicherzugehen, dass die Parkaufsicht nicht irgendwo im Gebüsch auf der Lauer lag, und machte sich dann daran, ein paar ordnungswidrige Arme für seinen Schneemann zu pflücken.

            Einen Augenblick später ging das Gebrüll los. Magozzi fuhr herum, die Hand bereits am Pistolenhalfter, und sah den kleinen rothaarigen Jungen. Er stand vor dem Skifahrer-Schneemann und starrte mit riesigen blauen Augen und einem unglaublich weit aufgerissenen Mund zu ihm hinauf.

            In Sekundenbruchteilen war Magozzi neben ihm und sah, wie sich die Karottennase in dem schmelzenden Gesicht nach unten neigte, wie die Sonnenbrille an der Karotte nach unten glitt und die großen, entsetzten, glasigen Augen freigab, die sie bisher verborgen hatte. Die echte Nase hinter der Karotte war wächsern weiß, unverkennbar ein Ton von der Farbpalette des Todes.

            Oh, Scheiße.

            Der Kleine brüllte immer noch. Magozzi legte ihm die Hände auf die Schultern und drehte ihn sanft weg von diesem Schneemann, der gar kein Schneemann war, hin zu einem rothaarigen Elternpaar, das bereits auf seinen verängstigten Sohn zugerannt kam.